Direktwahl 1993 Souveräner Sieger & sympathische Verliererin
Herbst 1993: Nelson Mandela und Frederik de Klerk erhielten den Friedensnobelpreis. Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer löste wegen HIV-verseuchter Blutpräparate das Bundesgesundheitsamt auf. Und „Gentleman“ Henry Maske verteidigte in Düsseldorf den IBF-WM-Titel im Halbschwergewicht gegen Anthony Hembrick. Energie spielte in der Oberliga Nordost. Es ist das letzte Jahr vor Eduard Geyer. Noch ahnte die Fußballwelt nichts vom bevorstehenden Wunder aus der Lausitz. Aber die Stadt ist im Aufbruch. An allen Ecken und Enden legten die Cottbuser Grundsteine, feierten Richtfeste und Eröffnungen: Die Landeszentralbank, Lausitz-Park und Cottbus-Center, Fernsehturm, Hotels, Banken, Schlosskirchquartier, Autobahn. Eine Baustelle allerdings, von der sich im Herbst 1993 zunächst nur erste Konturen abzeichneten, sollte in den folgenden Monaten und Jahren das Lebensgefühl der Cottbuserinnen und Cottbuser bestimmen, das Gartenschaugelände an der Spree. Die Stadt hatte sich nach der politischen Wende kühn um die Ausrichtung der BUGA 95 beworben und hatte tatsächlich – allen Widerständen zum Trotz – den Zuschlag erhalten. Wahlen im Zeichen der BUGA Der entscheidende Mann, der dieses Projekt mit unnachahmlichem Schwung durchgesetzt hatte, war Oberbürgermeister Waldemar Kleinschmidt. Den CDU-Mann hatte die Stadtverordnetenversammlung im Mai 1990 an die Spitze der Verwaltung gewählt. Nun, im Herbst 1993, vor 25 Jahren, stand der Wahlkampf für die ersten Kommunalwahlen nach der Gemeindeordnung des Landes Brandenburg auf der politischen Tagesordnung. Zu den Wahlen 1990 gab es zwei wichtige Unterschiede. Das Stadtparlament sollte auf 50 Stadtverordnete verkleinert werden und den Oberbürgermeister konnten die Cottbuser direkt wählen. Thema im Wahlkampf war natürlich in erster Linie der massive Abbau industrieller Arbeitsplätze, auch in Cottbus nur teilweise abgefedert durch die Ansiedlung von Behörden, Gerichten und die beiden Hochschulen. Diskutiert wurden die Erhaltung preisgünstigen Wohnraums und die Wahrung der Mieterrechte. Die BUGA-Vorbereitung gab der Stimmung jedoch positive Impulse. Die Cottbuser sahen hier die Verbindung zwischen dem Gartenkünstler Pückler, dem Stadtverschönerungsverein und ihren geliebten Kleingärten hergestellt und packten überall mit an. Viel spürten die Menschen vom Wahlkampf nicht: Vergleichsweise wenig Plakate und noch weniger Beiträge in den hiesigen Blättern, selten Aufrufe der Parteispitzen zur Wahlteilnahme. Die Doppelwahl am 5. Dezember überraschte das politische Cottbus. Die PDS, Vorgänger der heutigen LINKEN, erreichte 14 der 50 Mandate und zog gleich zur SPD. Das war vier Jahre nach der Wende so nicht erwartet worden. Auch deshalb nicht, weil die wichtigen Medien, auch die öffentlich-rechtlichen, einhellig Position gegen die SED-Nachfolger bezogen hatten. Ebenso überraschend auch das Ergebnis des ersten Wahlgangs bei der OB-Direktwahl: Die SPD hatte nicht, wie erwartet, den knorrigen, aber beliebten Werner Labsch aufgestellt, sondern Wolfgang Bomsdorf. Und der belegte dann Platz 3 und war damit nicht für die Stichwahl qualifiziert. Zweite, nach Sieger Waldemar Kleinschmidt, wurde Kerstin Bednarsky, die Kandidatin der PDS. Fairer Wahlkampf Der folgende kurze Stichwahlkampf zweier honoriger Persönlichkeiten kam ohne Beleidigungen und Verdächtigungen aus. Anders als in Potsdam konnte hier das MfS seine späte unheilvolle Wirkung nicht entfalten. Die Lausitzer Rundschau berichtete aus dem Rathaus: „Kurz nach 18 Uhr gab‘s dann die erste Prognose im Fernsehen, wonach Waldemar Kleinschmidt eindeutiger Wahlsieger war.“ Erste Gratulantin war die „sympathische und faire Verliererin Kerstin Bednarsky.“ Der alte und neue OB dankte seiner Mitbewerberin. Die Fairness im Wahlkampf sei ein gutes Zeichen für die junge Demokratie. Das haben die nachfolgenden Wahlkämpfer nicht immer beachtet. Nach den Wahlen im Dezember 1993 begann dann die beste Zeit für Cottbus. Waldemar Kleinschmidt ist einer der wenigen der im Osten so zahlreichen Kleingärtner, der sich einen großen Gartentraum erfüllen konnte. Die Organisatoren der BUGA 95 setzten unter seiner Leitung an der Spreeaue die von Pückler begründete bedeutende Cottbuser Gartentradition fort. P.S.: Am Tag nach der Kommunalwahl vom 5. Dezember traten die im Sommer beschlossenen Eingemeindungen in Kraft. Branitz, Dissenchen, Döbbrick, Kahren, Sielow und Willmersdorf wurden Cottbuser Stadtteile. Die Einwohnerzahl erhöhte sich noch einmal auf 128000.