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Die erste Wahl des Cottbuser Stadtparlaments nach dem Krieg

- Vor 100 Jahren -
Hugo Dreifert, Cottbuser Oberbürgermeister seit 1914, starb 1925 im Dienst Foto: Stadtarchiv Cottbus

Hugo Dreifert, Cottbuser Oberbürgermeister seit 1914, starb 1925 im Dienst Foto: Stadtarchiv Cottbus

Die Niederlage des kaiser­lichen Heeres und seiner Verbündeten im November 1918, die Abdankung Wil­helms I. und die Novemberrevo­lution waren auch für Cottbus eine bewegte Zeit. Mitte November ent­stand aus dem Soldatenrat und dem Arbeiterrat der Arbeiter- und Solda­tenrat Cottbus. Einer der beiden Vor­sitzenden war Carl Wendemuth, der Redakteur der Cottbuser Märkischen Volksstimme. Während überall das alte System zusammenbrach, blieben die kommunalen Vertretungen weit­gehend intakt. Die Cottbuser Stadtver­waltung mit Oberbürgermeister Hugo Dreifert ging flexibel auf die Forderun­gen des Arbeiter- und Soldatenrates ein und bot sogar zwei besoldete Stel­len für die Ratsmitglieder an. Die Lage der Cottbuser Einwohnerschaft war denkbar schlecht. Lebensmittel und Heizmaterial mussten rationiert wer­den. Viele Familien hatten im Krieg den Ernährer verloren. Andere Cott­buser waren noch in Kriegsgefangen­schaft. Beängstigend waren die ersten Gerüchte von alliierten Bedingungen bei den Waffenstillstands­verhandlungen in Spa: Die Aufrechterhaltung der Le­bensmittelblockade, die Räu­mung von Elsass-Lothringen, der Verlust der Kolonien, die Besetzung des Rheinlandes und jährlich 15 Milliarden Kriegsent­schädigung und das 50 Jahre lang. Zwei entscheidende Wahlen In dieser Situation wurden die Cottbu­ser an die Wahlurnen gerufen. Am 19. Januar standen die Wahlen zur Nati­onalversammlung an und am 2. März ging es um die Sitze in der Stadtver­ordnetenversammlung am Altmarkt 21. Die Januarwahlen führten zur Weimarer verfassungsgebenden Nati­onalversammlung. Der Rat der Volks­kommissare sollte durch eine legitime Regierung abgelöst werden. Erstmals waren Frauen wahlberechtigt. Der Cottbuser Anzeiger stand für den bürgerlichen Block. Die SPD und ihre Märkische Volksstimme, die sich im Wahlkampf mit den bürgerlichen Par­teien und den „Spartakisten“ ausei­nandersetzten, versprachen „die frei­este republikanische Verfassung, die irgend ein Volk der Welt besitzt“. Die Unruhen im ganzen Land gipfelten in Berlin im Spartakusaufstand und in der Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht. In Cottbus blieb es bei verbalen Auseinandersetzungen in den beiden Zeitungen. Das Wahlergebnis sah dann ganz klar den SPD-Kandidaten Otto Wels vorn. Er erhielt in Cottbus-Stadt 16776 Stimmen, mehr als die bür­gerlichen Parteien und die USPD zu­sammen. Im Reichsmaßstab siegte die SPD ebenfalls klar, war aber mit 37,9 % auf Koalitionspartner angewiesen. Dieses gute Ergebnis galt es nun bei den Wahlen zum Cottbuser Stadtpar­lament zu wiederholen. Beide Seiten, die bürgerliche und die sozialdemo­kratische, fürchteten sich vor dem Rückgang der Wahlbeteiligung. „Ge­rade die Stadtverordnetenwahlen“, schrieb der Anzeiger, „aber sind in ihren Folgen für jeden Einzelnen viel einschneidender, als die Reichs- und Landeswahlen.“ Mit dem Ergebnis waren beide Seiten dann auch nicht ganz zufrieden. Die SPD erhöhte zwar die Zahl ihrer Stadtverordneten von 1 auf 22. Aber sie stand einer kleinen Mehrheit der beiden bürgerlichen Listenverbindungen gegenüber, die es auf 23 Sitze brachte. Ursachenforschung in der Volksstimme: „Die Lauheit eines großen Teils der Cottbuser Ar­beiterschaft“. Eine rundum positive Folge: „Zum ersten Male wird unser Stadtparlament neben den Stadtvätern auch Stadtmütter sehen, und zwar fünf an der Zahl.“ Die erste Tagung des städtischen Parlaments fand am 28. März statt. Hugo Dreifert wurde erneut als Oberbürgermeister gewählt. Hundert Jahre danach Sowohl das bürgerliche Lager als auch die Märkische Volksstimme beklagten 1919 eine „Erscheinung der Wahl­müdigkeit“. Von den 32207 Wahlbe­rechtigten beteiligten sich 1919 „nur“ 21440 Cottbuser. Eine Wahlbeteiligung von 66,57 % wäre bei den bevorstehen­den Kommunalwahlen im Mai 2019 ei­ne kleine Sensation. (2014 - 39,7 %) Die Gründe dafür werden in Studien darge­legt und von wissenschaftlichen Institu­ten erforscht. Die Eliten in diesem Land, die viel über die Menschen im Osten gesprochen haben, aber seltener mit ih­nen, zerbrechen sich den Kopf über die Wähler in den neuen Ländern. Dabei ist die Sache gar nicht so schwierig. Die Ostdeutschen wünschen sich wohl in ihrer Mehrheit Politiker und Parteien, die mit Maß und Mitte an die Dinge herangehen, die nicht fremdenfeindlich oder gar rassistisch sind, aber auch nicht bedingungsloser Toleranz das Wort reden. Sie sind nur schwer zu überzeugen, die genderge­rechte Sprache, antikolonialistische Faschingskostüme und die Toiletten für das dritte Geschlecht für überlebens­wichtig zu halten.


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