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Der heutige Tag ist ein Resultat des gestrigen

- Vor 30 Jahren -
Der Cottbuser Heimatkalender im Bahnhofstunnel. Titelfoto: Gerd Rattei

Der Cottbuser Heimatkalender im Bahnhofstunnel. Titelfoto: Gerd Rattei

 Heimat­kalen­der sind Jahrbü­cher, die Heiteres, Nach­denkliches und Beschauli­ches aus der Geschichte und Gegenwart einer Region enthalten. Gerade in der Niederlausitz fördern meist ehrenamtlich tätige Lokalhistoriker und Hobbyforscher Interessantes ans Tageslicht. In Luckau, Guben, Lübben und Calau erscheinen span­nende Kalender. Der Stog, das Jahrbuch aus dem Spree­wald, hat einen festen Platz bei den Heimatfreunden. In dieser Reihe steht auch der Cottbuser Heimatkalender, der 1987, vor 30 Jahren, erst­malig wieder erschien. Im Vorwort der ersten Ausgabe heißt es noch trocken: „Aus der dynamischen Entwick­lung unserer Bezirksstadt zur Heimstatt der Berg- und Energiearbeiter resultierend, besteht gegenwärtig eine we­sentliche Aufgabe darin, den neuen Cottbusern die Ge­schichte unserer Stadt nahe­zubringen.“ Neben verschiedenen Jahr­buch-Vorläufern hatte es in Cottbus zum Anfang des 20. Jahrhunderts eine stattliche Anzahl heimatgeschicht­licher Veröffentlichungen gegeben. Daran knüpften engagierte Cottbuser an und gaben 1954 und 1956 Hei­matkalender heraus. Die lie­bevoll gestalteten Bändchen waren ganz wesentlich vom Nestor der Cottbuser Hei­matforschung Walter Dran­gosch geprägt. Zwar finden wir in der 54er Ausgabe ein markiges Stalin-Zitat. An­sonsten sind beide Jahrbü­cher erstaunlich unpolitisch. Kurt Elze plaudert über einheimische Pflanzen, Her­bert Scurla schreibt über den „armen Karl Blechen“ und Walter Drangosch nimmt sich das Jubiläum „800 Jah­re Cottbus“ vor. Mit beiden Heften stießen die Kalender­macher in den Fünfzigern je­doch nicht auf empfängliche Ohren bei den Kulturverant­wortlichen. Mit der Ehrung von Persönlichkeiten aus der Vergangenheit tat man sich zunächst schwer. Im Bezirk Cottbus gab es eine regel­rechte Kampagne gegen den Junker und Ausbeuter, als in einer Bad Muskauer Schule ein Singspiel zu Ehren des Fürsten Pückler einstudiert worden war. Das änder­te sich natürlich ein Vier­teljahrhundert später, als deutlich wurde, dass allein mit dem antifaschistischen Widerstandskampf keine Staatstradition zu begründen war. Die DDR ging auf die Suche nach historischer Le­gitimierung. Mit Luther und dem Preußenkönig Friedrich II. kam auch Hermann von Pückler-Muskau wieder zu Ehren. Und das ging nicht ohne ideologische Verren­kungen ab. Der zuständige Staatssekretär würdigte 1985 auf der Festveranstaltung zu Pücklers 200. Geburtstag in Cottbus die Parkanlagen „… als Teil der sozialistischen Nationalkultur …“ Sie mach­ten stolz auf die Leistungen vergangener Generationen, die „… trotz Unterdrückung und Ausbeutung und trotz Befangenheit in Standes- und Klassengrenzen zu großen Gedanken und Leistungen fähig waren.“ Diese Suche nach histori­scher Legitimierung führ­te 1979 zur Gründung der Gesellschaft für Heimatgeschichte. Dadurch entstand gleichzeitig ein gewisser Freiraum für Lokalhistori­ker. Das diese Entwicklung 1987 zum Erscheinen des ersten Cottbuser Heimat­kalenders neuerer Zeitrech­nung führte, ist in erster Li­nie Hans-Hermann Krönert zu verdanken. Der Journa­list und Pücklerkenner Krö­nert setzte gemeinsam mit dem Ehepaar Liersch und Christian Lehm das Werk von Walter Drangosch fort. Bemerkenswert ist, dass der Kalender die politische Wen­de erneuert überstand. Der Cottbuser Heimatka­lender gehört heute zu den erfolgreichen Konstanten in einer modernen Stadt, die vom ständigen Wandel geprägt ist. Seit 1987 erscheint das Bänd­chen in ununterbrochener Reihenfolge. Hier wird seit drei Jahrzehnten der Bogen vom alten Cottbus in die Ge­genwart geschlagen und dem Gedanken Heinrich Heines nachgespürt: „Der heutige Tag ist ein Resultat des gestri­gen. Was dieser gewollt hat, müssen wir erforschen, wenn wir zu wissen wünschen, was jener will.“ Die Gestalter des Festumzuges „850 Jahre Cottbus“ hatten mit den da­mals zwanzig Ausgaben ein grundlegendes Fundament in den Händen. Gleichzeitig ist der Heimatkalender ein gern genutztes Hilfsmittel im Unterricht und hat auch den hauptberuflichen Histori­kern einiges zu erzählen. Das Wichtigste ist aber viel­leicht die eher unsichtbare Wirkung des Jahrbuches. Die Leser erfahren von dem Mut und der Verzweiflung der Menschen, die früher zwischen Wintergarten und Bonnaskenplatz, zwischen Spreeaue und Brunschwig lebten. Sie lesen von den gro­ßen und den dunklen Stun­den einer Stadt, an der die großen Ströme der Geschich­te vorbeigegangen sind. Der Kalender erzählte von der Vernichtung der jüdischen Gemeinde und vom 15. Fe­bruar 1945, als der Krieg nach Cottbus zurückkehrte. Nachlesen kann man dort auch, dass der 17. Juni 1953 in Cottbus weder ein fa­schistischer Putsch noch ein Volksaufstand war. Am 23. November ist es wieder so weit. Dann stellt Kalenderredakteur Christi­an Friedrich in der Buch­handlung Hugendubel der Jahrgang 2018 des Cottbuser Heimatkalenders vor. The­men sind diesmal u.a. das Ende des I. Weltkrieges vor 100 Jahren, Pücklers farbi­ger Diener Joladour und das Schloss Lieberose.


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