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Der Aufstieg des Bösen - Hitler in Cottbus

- Vor 85 Jahren -
Seht ihn hier reden von der Zeitenwende./‘s ist Sozialismus, was er Euch verspricht. Doch hinter ihm, seht, Werke Eurer Hände:/große Kanonen, stumm auf Euch gericht‘. Brecht, Kriegsfibel

Seht ihn hier reden von der Zeitenwende./‘s ist Sozialismus, was er Euch verspricht. Doch hinter ihm, seht, Werke Eurer Hände:/große Kanonen, stumm auf Euch gericht‘. Brecht, Kriegsfibel

Die Zeit der wirtschaftlichen Erholung, die Goldenen Zwanziger, war auch in Cottbus kurz. Die Weltwirtschaftskrise begann 1929 mit dem New Yorker Börsenkrach und führte überall in den Industrieländern zur Verelendung der arbeitenden Menschen. In Deutschland ging die Produktion um fast 42 Prozent zurück. Die Arbeitslosenzahl stieg auf sechs Millionen, nicht mitgezählt die schlecht bezahlten Kurzarbeiter. Im Arbeitsamtsbezirk Cottbus gab es 1932 16.203 Erwerbslose. Die Anzahl der in der Cottbuser Textilindustrie Beschäftigten ging von 7100 auf 4300 zurück. Bei Tarifauseinandersetzungen kam es zu Aussperrungen. In den Cottbuser Arbeitervierteln machte sich die Not breit. Mit der zunehmenden Verelendung schlug die Stunde der Demagogen. Bei den Reichstagswahlen 1928 hatte die NSDAP ganze 2,6 Prozent der Stimmen erreicht. Das waren noch 0,4 Prozent weniger als 1924. Die Wahlen von 1930 brachten den Nazis dann schon 18,3 Prozent. Die fortschreitende Wirtschaftkrise veränderte diese Situation weiter. Die Nazi-Partei nutzte den sozialen Abstieg der Millionen und versuchte, die Demokratie zu besiegen, indem sie in die Parlamente einzog. Die Wahlkampfmethoden waren einfach, aber wirkungsvoll. Durch Aufmärsche, Krawalle und Straßenschlachten wollte man die Schwächen des Weimarer Systems bloßstellen. Wahlkampfthema Nr. 1 war die „Schmach von Versailles“. Auf der Suche nach Schuldigen für die schlechte wirtschaftliche Situation fand der scharfe Rassismus und Antisemitismus der Nazis auch bei den kleinen Leuten Gehör. Zu den Reichspräsidentenwahlen, den Reichstagswahlen und den Landtagswahlen 1932 wollte Hitler den Durchbruch erreichen. Großzügig gefördert von der Wirtschaft, unterstützt von geschickten Agitatoren und unter Nutzung modernen Technik konzipierten die Nazis die Strategie für die Wahlkämpfe: Propagandafilme, Aufmärsche und Schallplatten mit Reden Hitlers. Zu dieser fieberhaften Kampagne gehörten auch die „Deutschlandflüge des Führers“. Hitler flog von Kundgebungsort zu Kundgebungsort und erreichte mit seinen demagogischen Thesen oft Zehntausende. Dabei wurden nicht nur Metropolen, sondern auch Provinz- und Kleinstädte besucht. In Vorbereitung auf die Reichstagswahlen am 31. Juli 1932 „begann Hitler einen Redemarathon, der ihn bei seinem dritten ‚Deutschlandflug‘ durch 53 Ortschaften und Städte führte“. Am 19. Juli, vor 85 Jahren, stand Cottbus auf dem Programm des Nazi-Führers.
In der zweiten Julihälfte spitzten sich die Verhältnisse in der Weimarer Republik dramatisch zu. Die preußische Regierung wurde per Notverordnung gestürzt. Dem „Preußenschlag“ folgten Demonstrationsverbote. Der Cottbuser Anzeiger titelte: „Eine blutige Sonntagsbilanz/ Überall Straßenkrieg/ Gestern mindestens 15 Tote/ Schärfste Maßnahmen der Reichsregierung“. Das Blatt kündigte das bevorstehende Auftreten dreier rechter Parteiführer in Cottbus an. Eduard Dingeldey, Chef der Deutschen Volkspartei, sprach im Hotel „Weißes Ross“ und Alfred Hugenberg von der Deutschnationalen Volkspartei bei Altmann. Beide Veranstaltungen fanden in Sälen statt. Man kann von einigen Hundert Besuchern ausgehen, also den Mitgliedern oder Sympathisanten dieser Parteien, die sich bald als Steigbügelhalter der Nazipartei erwiesen. Für die Wahlkundgebung Hitlers war die Rennbahn vorgesehen. Das ist das Gelände, das heute durch den Rennbahnweg, den Fehrower Weg, die Phillip-Reis-Straße und die Sielower Landstraße begrenzt wird. Im Anzeiger gab es Hinweise zur Anreise und zum Parken, ja, die Cottbuser Tageszeitung beeilte sich gar, darauf hinzuweisen, dass die Hitler-Kundgebung nicht unter das Demonstrationsverbot falle. Anders die sozialdemokratische „Märkische Volksstimme“. Sie rief die Cottbuser Arbeiterschaft zum Boykott auf: „Straft die braunen Bürgerkriegskolonnen mit Verachtung!“, „Bleibt am Dienstag dem Hitler-Rummel fern!“ und „Lasst Euch auf keinen Fall provozieren!“
An der Kundgebung nahmen angeblich 40.000 Menschen teil. Diese hohe Zahl wurde jedoch selbst vom Cottbuser Anzeiger in Zweifel gezogen. Dennoch konnte kein anderer Parteiführer im Sommer 1932 derartige Massen mobilisieren. Auch auf Cottbus traf zu, was Ian Kershaw für ganz Deutschland konstatierte: „Der Führerkult, die Ware der NS-Propaganda und früher einmal einer winzigen Clique von Fanatikern vorbehalten, ließ sich jetzt an ein Drittel der deutschen Bevölkerung verkaufen.“
Hitlers Rede auf der Rennbahn war kurz und weitgehend nichtssagend. Sein Vorredner, Gauleiter Wilhelm Kube, wurde da schon deutlicher: Haben die Nationalsozialisten das Reich in der Hand, dann würden sie es nicht mehr hergeben.
Bei den Reichstagswahlen zwei Wochen später erreichte die Nazi-Partei 37,3 Prozent der Stimmen und wurde auch in Cottbus stärkste Partei. Sieben Monate später ernannte Hindenburg Hitler zum Reichskanzler. Die Nacht des Faschismus begann. 


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