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Cottbus staunt - Oberkirche erhält ihre Turmhaube zurück

Turmhelm für die Oberkirche wird hergestellt, Mitte März 1988, Fotograf Peter Letsch

Turmhelm für die Oberkirche wird hergestellt, Mitte März 1988, Fotograf Peter Letsch

Die Oberkirche: Unter den großen Spitzbogenfenstern und den spätgotischen Wölbungen erahnen wir die kulturellen Leistungen unserer Vorfahren. St. Nikolai ist die Kirche in der Niederlausitz, die als erste schriftlich erwähnt wurde. Sie war das angesehenste und wohlhabendste Gotteshaus der Region. Der etwas ungewöhnliche Name Oberkirche deutet auf diese Rolle hin. St. Nikolai war die Kirche des Bürgertums der Stadt und der Herrschaft Branitz. Hier wurden das gemeinsame Geld aller Cottbuser Kirchen und die wichtigsten Dokumente aufbewahrt. Von der Oberkirche sind immer wieder wichtige Impulse ausgegangen. Hier wirkte ab 1537 der lutherische Prediger Johannes Mantel. Mit dem Hochaltar des Torgauer Bildhauers Andreas Schulze aus Sandstein verfügt die Kirche über das wohl bedeutendste Kunstwerk der Stadt. Auch die Cottbuser Musikkultur wurde hier ganz wesentlich geprägt. Und im Herbst 1989 begann an der Oberkirche die friedliche Revolution in Cottbus. In etlichen Veröffentlichungen vor und nach der Wende wird die Sanierung der Cottbuser Kirche St. Nikolai genau dokumentiert. Von den ersten Aufräumungs- und Sicherungsarbeiten 1946 bis zur Instandsetzung der Fassaden 1994 ist alles wohlbekannt. Wie aber ist die große Kirche im II. Weltkrieg zerstört worden? Darüber gibt es nur wenige und widersprüchliche Aussagen. Die alliierten Luftangriffe überstand das Gotteshaus jedenfalls. Nach der wahrscheinlichsten Version soll sich in den letzten Kriegstagen im oberen Teil der Kirche eine Flakstellung befunden haben oder nur dort vermutet worden sein, die bei der Einnahme der Stadt im April 1945 von Kampffliegern der Roten Armee ausgeschaltet wurde. Die Kirche brannte aus. Ein Jahr später stürzten Teile des Gemäuers ein. In den folgenden Jahrzehnten wurde die älteste Cottbuser Kirche  schrittweise instandgesetzt. Vom Turm der Oberkirche blieb allerdings nur der Stumpf. Die krönende Spitze fehlte. Vor dreißig Jahren, zu Beginn des Jahres 1988, geschah auf dem Oberkirchplatz Sonderbares. Zuerst entstand neben der Kirche ein ca. 10 mal 10 Meter großes Plateau. Darauf wuchs langsam eine eigenartige Holzkonstruktion empor. Als diese zunächst mit Dachpappe verkleidet wurde, ahnten die Einwohner, dass die alte Kirche ihre barocke Turmhaube zurückerhalten sollte. Mit der neuen Turmhaube sollte die Stadtsilhouette ihr altes Bild wieder bekommen. Das später in strahlendem Kupfer ausgeführte Bauwerk wurde am 19. Juni 1988 auf die Oberkirche aufgesetzt. Obwohl von zigtausend Menschen beobachtet, berichteten die in Cottbus erscheinenden Zeitungen sehr zurückhaltend darüber. Die Lausitzer Rundschau ignorierte den Bau bis zuletzt. Dann gab es ein Foto und ganze zwei Zeilen von dem Ereignis. Die Märkische Union, das Blatt der Ost-CDU, schwieg erstaunlicherweise ebenfalls. Sie berichtete erst eine Woche später. Lediglich aus dem Morgen erfuhren die Cottbuser, was hier geschehen war und wem sie das funkelnde Bauwerk zu verdanken hatten: „Die 60jährige Restaurationsarbeit fand Sonntag mit dem Aufsetzen der barocken Turmhaube auf den Turm der Oberkirche den krönenden Abschluss. Rund 4000 Schaulustige verfolgten trotz widrigen Wetters die präzisen Arbeiten der Bauleute. Die zuletzt bekannte Haubenform wurde vom Autorenkollektiv Peter Schuster und Dr. Peter Thieme nachempfunden. Lehrlinge des Tiefbaukombinats unter Leitung von Meister Alfred Lehnigk fertigten in solider Zimmermannsarbeit die Tragkonstruktion. Für die kupferne Dachhaut zeichnete die Firma Winter aus Schirgiswalde verantwortlich.“ Der Gottwald-Autokran vom VEB Spezialmontagen Weimar gehörte auch dazu. Die Zurückhaltung der Medien war ganz unbegründet. Die Kosten trug die staatliche Denkmalpflege und die Cottbuser freuten sich über außerordentlich über die wiedergewonnene Silhouette ihrer Stadt. Zurecht lieben die Menschen den Oberkirchplatz und den angrenzenden Schlossberg. Hier ist der älteste Platz der Besiedlung der Stadt und hier haben die ersten Cottbuser ihre Ahnen begraben. Im Schatten der Oberkirche wurde gefeiert, gehandelt und demonstriert. Die schönen historischen Gebäude sind den Cottbusern wichtig. Zur Zeit der politischen Wende waren es Themen aus der Denkmalpflege, die die Menschen auf die Straße brachten. Und auch später war der Erhalt von Baudenkmälern wichtiges Wahlkampfthema. Die ehemalige Carl-Blechen-Schule ist jetzt Teil des Einkaufszentrums, für das sie weichen sollte. Und so liegt die Stadt weiter wie ein aufgeschlagenes Geschichtsbuch vor uns.


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