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Cottbus-Besucher enttäuscht Gastgeber in der DDR

- Vor 45 Jahren -
Ulbricht und Nimeri 1970 vor dem Textilkombinat Cottbus. Foto: Erich Schutt

Ulbricht und Nimeri 1970 vor dem Textilkombinat Cottbus. Foto: Erich Schutt

 Im Jahr 1969 gab es im leid­geprüften Sudan einen erneuten Militärputsch. Diesmal übernahm Oberst Gaafar el Nimeri (Moder­ne Umschrift: Dschafar Muhammad an-Numairi) die Macht in dem Nordost afrikanischen Staat. Der zunächst an den Ideen von Gamal abdel Nasser ori­entierte Offizier machte seine Sudanesische Sozia­listische Union zur alleinherrschenden Partei und sich selbst zum Vorsitzen­den des Revolutionären Kommandorates. Ähnlich wie der ägyptische Präsi­dent orientierte sich Nime­ri politisch zunächst an der Sowjetunion und verstaat­lichte Banken sowie aus­ländische Unternehmen. Das machte ihn interessant für die außenpolitischen Bemühungen der DDR zur Durchbrechung der diplomatischen Blockade der Bundesrepublik. Ende der Sechzigerjahre wurde die sogenannte Hallstein-Doktrin allmählich brü­chig. Sie besagte, dass die Bundesrepublik ihrerseits die Beziehungen zu jenen Staaten abbricht und die Wirtschaftshilfe einstellt, die Beziehungen zur DDR aufnehmen. Die Anerken­nung der DDR durch den Sudan und die Aufnahme voller diplomatischer Be­ziehungen im Juni 1969 war dann auch einer der Schritte, die später zur vollständigen Aufgabe der Hallstein-Doktrin und zur gleichberechtigten Aufnah­me beider deutscher Staa­ten in die UNO führte. Ent­sprechend intensiv wurde jener Gaafar el Nimeri von der DDR-Führung umwor­ben. Nach einem kommu­nistischen Umsturzversuch wechselte der inzwischen zum Staatspräsidenten ge­wählte Offizier allerdings die Seiten. Im Jahr 1972, vor 45 Jahren, nahm er ei­nen Kurswechsel vor, er­neuerte die Beziehungen zur Bundesrepublik und zu den USA und erklärte den Islam zur Staatsreligion. Später führte Nimeri sogar die Scharia ein und stellte den USA militärische Ein­richtungen zur Verfügung. Davon war allerdings 1970 noch nichts zu spüren. El Nimeri besuchte Anfang Juli die DDR und wurde mit großem Protokoll emp­fangen. Zu einem ordentli­chen Staatsbesuch gehört immer auch ein Ausflug in die Provinz. Und der führte, wie schon bei König Fuad II. von Ägypten vier Jahr­zehnte zuvor, nach Cottbus. Die Lausitzer Rundschau kündigte die Visite so an: „Am heutigen zweiten Tag des offiziellen Staatsbesu­ches begrüßen die Einwoh­ner unseres Bezirkes mit großer Freude Generalma­jor Nimeri in Spremberg und in Cottbus. Dabei wird er in der Bezirksstadt von Genossen Walter Ulbricht begleitet.“ Es folgt der Auf­ruf: „Bereiten wir ihnen ei­nen herzlichen Empfang! Schmückt Häuser, Straßen und Plätze!“ Natürlich war ein Spalier organisiert. Die Begrüßung der beiden ho­hen Gäste erfolgte vor dem Restaurant Stadt Cottbus in der Sprem. Ulbricht und Nimeri sprachen sich mit dem in der DDR noch ungewöhnlichen „Exzel­lenz“ an. Höhepunkt in der Bezirksstadt war der Besuch des noch ganz jun­gen Textilkombinates. Dort gab es ein Meeting, das die Tageszeitung „als einmali­ges Erlebnis und den Be­such als Anerkennung für Cottbus“ würdigte. Die damalige Losung „Über­holen ohne einzuholen“ mag dem afrikanischen Potentaten schleierhaft er­schienen sein. Gemeint war damit die an sich gute Ziel­stellung, zu einer besseren Gesellschaft zu kommen, ohne die Auswüchse des Kapitalismus zu wiederho­len, also zum Beispiel einen ordentlichen ÖPNV zu or­ganisieren, ohne Millionen Privatfahrzeuge auf den Straßen. „Auf diese aktuel­le Losung ging auch Walter Ulbricht ein und erläuter­te, wie sie mittels unserer Perspektivplanung zu verwirklichen ist“. Und natürlich wurden die Reden „immer wieder von Beifallsstürmen“ unterbrochen. Der Beitrag „Ein Tag des Stolzes“ kennzeichnet die ideologische Atmosphäre zu Beginn der Siebziger und entbehrt nicht un­freiwilliger Komik: „Die Cottbuser hatten gestern Grund zur Freude. Beson­ders glücklich waren wir, den Repräsentanten der Demokratischen Repu­blik Sudan, Generalmajor Gaafar Mohamed Nimeri, bei uns begrüßen zu kön­nen.“ Mit „Verehrung“ und „ebensolcher Herz­lichkeit“ wurde Ulbricht begrüßt. „Das drückte sich auch in den bewegten Wor­ten einer Spreewaldbäuerin aus Tranitz aus, die nach Cottbus gekommen war, um ihm zuzuwinken.“ Und es wurde an den Besuch des Staatsratsvorsitzenden 1964 in Cottbus erinnert, bei welchem selbiger „An­regungen für den Aufbau eines Stadtzentrums“ gab. „Jetzt können wir bereits einiges vorweisen!“ Doch zurück zur großen Po­litik: Beide Seiten gelobten in der „Gemeinsamen Er­klärung der DDR und der DRS“ die „freundschaftli­chen Beziehungen allseitig weiterzuentwickeln“ und „konkrete Maßnahmen zur wirtschaftlichen Zusam­menarbeit“ auszuarbeiten. Es kam anders! Nach sei­nem Tête-à-Tête mit Mos­kau und Ost-Berlin wandte sich Nimeri 1972 wieder dem Westen zu, erneuerte die diplomatischen Bezie­hungen mit Bonn, nannte sein Land bald Islamische Republik Sudan und rief sich selbst zum Iman aus. Aber auch in der DDR kam es zu Veränderungen. Nach Ulbrichts Sturz 1971 war Schluss mit „Einholen oh­ne Überholen“. Honeckers Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik setzte auf Konsum.        


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