Seitenlogo

Attentat auf Kennedy – Reaktionen aus der Niederlausitz

- Vor 55 Jahren -
Sondermeldung mit dem Logo der Aktuellen Kamera. Bild: Deutscher Fernsehfunk 1963

Sondermeldung mit dem Logo der Aktuellen Kamera. Bild: Deutscher Fernsehfunk 1963

Der 22. November 1963 war ein trüber Freitag, Nieselregen und 6,5 °C. Noch längst nicht alle Cott­buser besaßen einen Fernseher. Geschaut wurde der Deutsche Fernsehfunk aus Adlershof. Außerdem konnte man in Cottbus das Programm der ARD und das gerade gestartete ZDF empfangen, allerdings nur mit hohem technischen Aufwand und ge­stört durch Witterungseinflüsse. Alles natürlich in Schwarz-Weiß. An jenem 22. November saßen allerdings einige Leute mehr vor der Flimmerkiste. Man ging mit dem Stuhl zu den Nachbarn. Adlershof sendete um 20 Uhr „Die Abwehr greift ein“. Das war ein bulga­rischer Spionagefilm, fast passend zu dem nachfolgenden Geschehen. Mit­ten im Spielfilm wurde unterbrochen. Das alte Logo der Aktuellen Kamera erschien als Standbild. Dann passierte kurz nichts, bevor Sprecher Hans-Dieter Lange verkündete, dass gegen 12 Uhr in Dallas der amerikanische Präsident John F. Kennedy ermordet wurde. Ähnlich im Westfernsehen: Dort kam die Nachricht noch in der Tagesschau unter, allerdings auch mit einer Unterbre­chung und einem zeitweise schwarzen Bildschirm. Der nicht fernsehende Rest der Cottbuser las es am folgen­den Samstag in der Lausitzer Rundschau: „Auf USA-Präsident Kennedy ist am Freitagabend in Dal­las im USA-Staat Texas ein Attentat verübt worden, an dessen Folgen John F. Kennedy um ein Uhr nachmittags Ortszeit (20 Uhr MEZ) verstorben ist.“ Die gleiche Ausgabe brachte auch das Beileidstelegramm Walter Ulbrichts an den neuen Präsidenten Lyndon B. Johnson: „Seien Sie versichert, dass unsere Abscheu vor den ruchlosen Kräften des Terrorismus ebenso groß ist, wie unser tiefes Mitgefühl mit dem amerikanischen Volk, das einen seiner hervorragendsten Staatsmänner ver­loren hat.“ Cottbus im Spätherbst 1963 Die Bürger in Cottbus und der übrigen DDR waren von der Nachricht über den Kennedy-Mord tief bewegt. Die Hype um den jungen und charmanten Präsidenten, der sich so vorteilhaft von den steifen Staatenlenkern im Osten abhob, war an den Menschen in Ostdeutschland nicht spurlos vorbei gegangen. Vom Hörensagen wusste man auch von zwei großen Reden, die im Sommer gehalten wurden: die von Kennedy, der versichert hatte, dass er ein Berliner sei, und die von Martin Luther King, der seinen Traum von einem besseren Amerika hatte. Im eigenen Lande normalisierte sich nach der Kollektivierung der Landwirtschaft und dem Mauerbau die Versorgung. Für höherwertige Konsumgüter mach­te die HO, die Handelsorganisation, in Cottbus sogar Werbung. Der Mo­torroller Troll war für 2 550 und der Fernseher Rafena-Start für 1 600 Mark zu haben. Im Stadttheater gab es „Nabucco“. In der Tageszeitung sprachen die Menschen recht offen über ihre Probleme. Eine vorge­zogene MeToo-Berichterstattung erstaunt den heutigen Leser: Brand in einem volkseigenen Cottbuser Betrieb. Ein leitender Genosse mel­dete das Feuer. Die Feuerwehrfrau in der Einsatzzentrale verlangte jedoch eine präzisere Meldung. Der etwas beleidigte Leiter schimpfte nach dem Telefonat: „Nun haben sie schon Weiber bei der Feuer­wehr, da braucht man sich nicht zu wundern, wenn nichts mehr klappt!“ Das steht am nächsten Tag in der LR und hat einen sozialistischen Shit­storm zur Folge. Der Kennedy-Mord traf auf eine DDR-Gesellschaft, die sich etwas mühsam von der Massenflucht vor 1961 erholte und die mit dem Neuen Ökonomischen System auch zaghafte Reformansätze verwirklichte. Verschwörungstheorien in Ost und West Nun war das Attentat bestens geeignet für Verschwörungstheorien auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs. Ken­nedy ist tot, da wird einen Tag später der vermutliche Mörder, der zeitweise in der Sowjetunion lebte, selbst er­schossen. Und dann recherchieren bis auf den heutigen Tag Polizisten, Jour­nalisten und Kommissionen erfolglos nach den Hintermännern. Bei Wikipedia wird eine Verschwörungstheorie als Versuch bezeichnet, einen Vorfall oder eine Entwicklung durch eine Verschwörung zu erklären. Wer sich aber unbefangen solchen Ereignissen annähert, stellt schnell fest, dass die Ereignisse, die die Einen als Verschwö­rungstheorie abkanzeln, für Andere belegte Tatsachen sind. So ist der Begriff Verschwörungsthe­orie heute auch ein Kampfbe­griff geworden, um unliebsame Meinungen abzuqualifizieren. P.S. Kennedys Gegenspieler im Kreml, der Ukrainer Nikita Chruschtschow, überdauerte den US-Präsidenten nur um elf Monate. Im Oktober 1964 war auch seine Zeit als Generalse­kretär abgelaufen. Allerdings entledigte man sich seiner auf etwas zivilisiertere Weise. Chruschtschow wurde in Rente geschickt.


Meistgelesen