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Görlitzer Siemens-Werk kämpft um Zukunft

Es ist in Görlitz inzwischen ein gewohntes Bild. Wieder kamen viele hundert Menschen zu einer Demonstration zusammen. Wieder ging es darum, gegen Stellenabbau oder in diesem Fall gar die Schließung eines Industriestandortes anzugehen.

Als Jan Otto am Donnerstag kurz nach 12.30 Uhr ans Rednerpult trat, hatte der Siemenskonzern gerade andernorts einen Rekordgewinn verkündet. In Görlitz standen derweil hunderte Menschen, viele von ihnen Siemens-Angestellte, auf der Straße und demonstrierten gegen die mögliche Schließung des Görlitzer Werks. Dass da etwas nicht zusammenpasst, betonte nicht nur der Erste Bevollmächtigte der IG Metall in seiner Rede. Unter den Sprechern war am Donnerstag auch der stellvertretende Ministerpräsident des Freistaats, Martin Dulig. „Wir dürfen nicht zulassen, dass die Standorte gegeneinander ausgespielt werden, dass Ost und West gegeneinander ausgespielt werden. Aber was kann Politik da machen? Wir können mit euch gemeinsam Druck machen. Das Unternehmen Siemens hat eine soziale Verantwortung, aus der es sich nicht herauskaufen kann. Weiß Herr Kaeser überhaupt, was er an dem Werk in Görlitz hat, was hier passiert? Das Turbinenwerk in Görlitz ist gut aufgestellt. Hier werden die passenden Antworten produziert für die Strukturanpassungen, die Siemens nötig hat.“ Neben den Schließungsplänen stößt den Angestellten auch die Kommunikation im Unternehmen sauer auf, wie der Betriebsratsvorsitzende Christian Hainke deutlich machte: „Diese Hinhaltetaktik kann doch nicht wahr sein. Wir erfahren alles nur aus der Presse. Wir wollen endlich Klarheit, nicht nur für Görlitz, sondern für alle Werke. Uns Rufen schon Kunden an und fragen, ob wir überhaupt noch liefern können, ob es sich lohnt, noch etwas zu bestellen.“ „Wir sind nicht nur bester Drehort, sondern auch bester Hersteller für Industrieturbinen“, sagte der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende Ronny Zieschank und spielte damit darauf an, das Görlitz kürzlich als bester europäischer Filmdrehort des Jahrzehnts ausgezeichnet worden war. Er betonte wie andere Redner auch, dass die Auftragsbücher in Görlitz voll seien. Dass die Region hinter den Siemens-Mitarbeitern steht, wurde bei der Demonstration auch durch einen über 250 Seiten starken Hefter deutlich, den Siemens-Alliance Manager Matthias Schöneich an Martin Dulig übergab. Darin zu finden waren tausende Unterschriften. Die Siemens-Mitarbeiter hatten am 1. November eine Online-Petition gegen die Schließung des Werks in Görlitz ins Leben gerufen. Bis zur Demo am 9. November unterzeichneten über 11800 Menschen diese Petition. Bis zum 12. Dezember (solange läuft die Unterschriftensammlung) sollen es noch viele mehr werden. Hier geht's zur Petition.

Sechs Milliarden Euro Gewinn

„Unser globales Team hat im Geschäftsjahr 2017 hervorragende Ergebnisse erzielt, die sogar über dem historischen Erfolg des letzten Jahres liegen. Die meisten Geschäfte sind so stark wie nie und für das digitale Zeitalter bestens gerüstet. Dennoch haben wir in einzelnen Geschäften strukturelle Aufgaben zu bewältigen. Für das Geschäftsjahr 2018 liegt sehr viel Arbeit vor uns. Wir werden unsere Chancen im Markt nutzen und Herausforderungen umsichtig, verantwortungsvoll und konsequent angehen“, wird Joe Kaeser, Vorsitzender des Vorstands der Siemens AG, in einer Mitteilung bezüglich der heutigen Bilanzpressekonferenz zitiert. 6,2 Milliarden Euro Gewinn erzielte Siemens demnach im abgelaufenen Geschäftsjahr. Elf Prozent mehr als im ebenfalls schon hervorragenden Jahr zuvor. Trotzdem kündigte der Siemens-Chef „schmerzhafte Einschnitte“ beim schwächelnden Kraftwerksgeschäft an. Bereits vor einigen Wochen hatte das Manager-Magazin über die Sparpläne berichtet. Auch der Standort Görlitz könnte demnach womöglich geschlossen werden. Offiziell entschieden ist das zwar noch nicht, bei den Beschäftigten in Görlitz geht aber natürlich bereits die Angst um. Deswegen versammelten sie sich heute vor den Werkstoren, um gegen die Pläne zu demonstrieren. An ihrer Seite standen viele Menschen aus der Region, die ihre Solidarität zeigen und für den Erhalt des Werks einstehen wollten. Unter anderem war eine Delegation von Bombardier vor Ort. Die Angestellten des Waggonbauers kennen aus eigener Erfahrung nur zu gut, wie schnell bei großen Unternehmen der Rotstift angesetzt wird. Auch Mitarbeiter der Landskronbrauerei waren vor Ort. Auf ihrem Banner stand „Das ist auch unser Bier“ zu lesen. Ebenfalls vor Ort waren Vertreter der Siemens-Standorte Dresden und Leipzig. Maßnahmen statt Moralappellen Bereits vor der Demo hatten sich Rico Gebhardt (Vorsitzender der Fraktion Die Linke im Sächsischen Landtag) und Antje Feiks (neu gewählte Vorsitzende des Landesverbandes der Linken), die beide vor Ort mit dabei waren, in einer Erklärung zu Wort gemeldet: „Es rächt sich jetzt bitter die von CDU wie SPD in den neunziger Jahren mitgetragene Treuhand-Politik, aus den Industriestandorten des Ostens verlängerte Werkbänke der Zentralen im Westen zu machen. Die Görlitzer Belegschaft erfüllt im Bereich der Kraftwerkstechnik seit Jahren die Ansprüche von Innovation und Weltmarkttauglichkeit – doch das scheint bisher keine Rolle zu spielen. Der Wettlauf zwischen Sachsens Noch-Ministerpräsident Tillich und Wirtschaftsminister Dulig auf dem Feld der Pressemitteilungen und Auftritte wirkt tragikomisch. Mit öffentlichem Moralisieren wird man einem mächtigen Konzern kaum zu Leibe rücken. Ich erwarte, dass die Spitzen der sächsischen Staatsregierung im Benehmen mit der Bundesregierung endlich mal die Instrumente auf den Tisch legen, die im Poker um Standorte und Arbeitsplätze den Menschen in der Lausitz wirklich den Rücken stärken. Heute sehen wir auch: Das Gerede der Staatsregierung vom Strukturwandel ist bisher ein Märchen. Tatsächlich erlebt die Lausitz seit 1990 eine Serie von Strukturabbrüchen. Die Neuaufbrüche in Nischen, oft von großem persönlichen Engagement auf die Beine gestellt, können die Einfallslosigkeit sächsischer Wirtschaftspolitik in der Region nicht ausgleichen. Wir fordern die Staatsregierung auf, noch vor der Neuwahl des Ministerpräsidenten am 13. Dezember einen konkreten Maßnahmenkatalog für die Wirtschaftsförderung in der Lausitz vorzulegen. Ein Weiter so geht nicht mehr!“

Brief an Joe Kaeser

Auch der sächsische Grünen-Bundestagsabgeordnete Stephan Kühn war zur Demo in Görlitz und hatte sich schon vorher in einem Brief an den Vorstandsvorsitzenden der Siemens AG, Joe Kaeser, gewandt. Darin heißt es unter anderem: „ […] Es ist die Industriedampfturbine aus Görlitz, welche im Gegensatz zu großen Gas- und Dampfturbinen, auch in den nächsten Jahrzehnten weiter nachgefragt sein wird. Grund hierfür ist die enorme Einsatzbreite der Industriedampfturbinen - sowohl als Prozessdampfbereitsteller mit Elektroenergieerzeugung, als auch als Antriebsturbine in der Verfahrenstechnik.  Seit Jahren ist bekannt, dass die Nachfrage nach großen Gas- und Dampfturbinen sinkt und weiter sinken wird, weil fossile Kraftwerke durch alternative Energiequellen ersetzt werden. Gerade im Zeitalter der erneuerbaren Energien und einer Tendenz zu dezentralen Lösungen spielt die Technologie der Industriedampfturbine eine umso wichtigere Rolle. Dies wird auch zukünftig so bleiben, da sie nicht von fossilen Energieträgern abhängig ist. Diese globalen Marktentwicklungen erhöhen die Chancen des Standortes Görlitz auf dem Weltmarkt.  […] Das Siemenswerk in Görlitz ist einer der letzten verbliebenen Leuchttürme in der ansonsten industriell strukturschwachen Region der Oberlausitz. Eine Schließung des Turbinenwerkes würde die gesamte Region hart treffen. Die Schließungspläne gehen an den Marktanforderungen vorbei und blenden das Potential des Standortes vollkommen aus. Ich appelliere an Sie, übernehmen Sie Verantwortung für Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie die Region. Machen Sie ihre Pläne transparent und lassen Sie uns gemeinsam mit den Beschäftigten und der Politik nach Lösungen suchen, um eine Werksschließung abzuwenden.“


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