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Eine märchenhafte „Entführung“ mit Happy-End

Wie ein Märchen aus „1001 Nacht" wirkt die neue Inszenierung von Mozarts Singspiel „Die Entführung aus dem Serail", die kurz vor Ostern ihre festliche Premiere in der Semperoper Dresden feierte. Gerade in der heutigen Zeit, da viele Stücke auf Krampf modernisiert werden, ist es wohltuend, eine bunte, farbenprächtige Inszenierung zu erleben. Auch Mozart hätte seine Freude daran gehabt; denn 1782, als sein Oper im Wiener Burgtheater uraufgeführt wurde, war die Vorliebe für das Orientalische groß. Dabei wurde mangelndes Wissen über die fremde Kultur durch Phantasie ersetzt. Deshalb auch das Märchenhafte in Mozarts Oper, die   damals zum ersten Mal in deutscher Sprache aufgeführt wurde. Wenn es bei der Uraufführung auch Tumulte gab - die „Entführung“ ist bis heute das beliebteste deutsche  Singspiel.  Allein an der Semperoper stand es über 450 Mal auf dem Spielplan. Turbulent ist auch der Inhalt: Die junge Spanierin Konstanze, ihre Zofe Blonde und der Diener Pedrillo wurden von Seeräubern überfallen und in der Türkei als Sklaven verkauft. Die beiden Frauen landen im Harem des Bassa Selim, Pedrillo als Gärtner.  Der Bassa umwirbt Konstanze, die sich ihm standhaft verweigert, da sie voller Traurigkeit an ihren Verlobten Belmonte denkt. Blonde, die dem Haremswächter Osmin „geschenkt“ wurde, denkt nicht daran, sich diesem Grobian zu fügen – sie liebt Pedrillo. Eine echte doppelte Dreiecksgeschichte also, die dadurch spannend wird, dass sich Belmonte auf den Weg macht, um seine Geliebte zu befreien. Doch das ist gefährlich; denn „die Türken verstehen keinen Spaß“, vor allem Osmin nicht. Er würde die verdächtigen Europäer am liebsten aufhängen, köpfen und an heiße Stangen spießen. Die Flucht misslingt und als die beiden Paare schon alle Hoffnung verloren haben, geschieht ein Wunder: Der Bassa begnadigt alle und lässt sie ziehen, obwohl Belmonte der Sohn seines Erzfeindes ist. Er verzichtet auf Rache.  Damit erweist er sich als moralisch überlegen und wahrhaft „Große Seele“.   So gestaltete sich Mozarts  Singspiel als ein Plädoyer für Mut, Toleranz und Vergebung. Doch erfreulicherweise nicht mit erhobenem Zeigefinger, sondern mit berührenden und humorvollen Szenen. Zu den schönsten gehört der große Einzug des Bassa mit buntem Gefolge einschließlich Kamelen und einem großen Käfig voller Frauen. Auch die von Blitz und Donner begleitete Flucht, bei der Konstanze und Blonde an einem Seil über die Bühne sausen, ist einmalig. So schrecklich auch die Martergeräte sind, die zum Schluss aufgefahren, aber nicht wirklich eingesetzt werden – es ist ja nur ein Märchen mit Happy-End. Von tollen, stimmungsvollen Lichteffekten, Versenkungen und Verschieben von Kulissen wird das ganze Register der Bühnentechnik gezogen. Unwillkürlich wartet man bei jedem neuen Aufzug auf neue szenische Bilder und wird dadurch etwas von der Musik abgelenkt. Doch das überspielt die Staatskapelle unter der musikalischen Leitung von Christopher Moulds gekonnt. Und wer könnte sich schon dem Zauber der Koloraturen entziehen, mit denen Simona Saturová als Konstanze ihr Schicksal beweint? Wie lange wird sie dem verführerischen Werben des Bassa Selim (die Sprechrolle wird von dem Schauspieler  Erol Sander dargestellt) noch standhalten? Tuuli Takala als ihre Zofe Blonde nimmt es zwar etwas leichter, hält aber ebenfalls zu ihrem Freund, was sie mit viel spielerischem Temperament und schöner Stimme beweist. Dagegen kommen Joel Prieto als Belmonte und Manuel Günther als Pedrillo sängerisch nicht so zur Geltung. Doch das geht in dem ganzen Trubel etwas unter. Dimitry Ivashchenko singt und spielt den poltrigen, aber gewitzten  Osmin. Regisseur Michiel Dijkema vermeidet bewusst aktuelle Anspielungen. Schließlich können die Zuschauer selbst denken und ihre Schlüsse ziehen. Vor allem aber können sie sich fast drei Stunden lang an der herrlichen Musik Mozarts, dem märchenhaften Bühnenbild und den phantasievollen Kostümen erfreuen. Gudrun Stabenow  


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