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Abgründe der menschlichen Seele ausgelotet

Aufführung von Korngolds Oper „Die tote Stadt“ an der Semperoper

Ist es Traum oder Wirklichkeit? Hat der zurückgezogen in Brügge lebende Witwer Paul tatsächlich eine Bluttat begangen? Er trauert  seit Jahren um seine verstorbene Frau Marie, für die er einen „Raum des Gewesenen“ kreiert, in dem ihr Bild und jeder Gegenstand an die Tote erinnern. Erst die Begegnung mit  der Tänzerin Marietta reißt ihn aus seiner seelischen Lethargie. Sie sieht seiner verstorbenen Gattin zum Verwechseln ähnlich, so dass er an eine „Wiederkehr“ glaubt. All seine angestauten Sehnsüchte brechen sich Bahn. Doch er kann sich nicht von der Vergangenheit lösen und stürzt sich in unlösbare Verstrickungen von Begehren und Gewissensbissen, die sich bis zum Mord an der Tänzerin steigern. - Doch nur im Traum, der zum Albtraum wird. Zwei Drittel der Korngold-Oper „Die tote Stadt“, die zum Jahresende an der Semperoper eine gefeierte Premiere erlebte, spielen in dieser Traumwelt. Gemeinsam mit den Protagonisten erleben die Zuhörer alle Abgründe der menschlichen Seele.  Dabei ist die Nähe zu Sigmund Freuds Psychoanalyse und seiner „Traumdeutung“ unverkennbar. Es ist erstaunlich, dass sich Erich Wolfgang Korngold,  der bei Beginn seiner Arbeit erst zwanzig Jahre  war, mit dieser Thematik beschäftigte. Seine den jeweiligen Stimmungen angepasste Musik lotet alle Höhen und Tiefen des Psychodramas aus, das auf den Roman „Bruges-la-Morte“ von Georges Rodenbach  zurückgeht. Hinter dem Librettisten Paul Schott verbirgt sich Korngolds Vater Julius, ein umstrittener Musikkritiker. Natürlich hat der junge Komponist aus den musikalischen Strömungen seiner Zeit geschöpft, aber daraus seine eigene Tonsprache entwickelt. Interessant sind die kinomäßigen Steigerungen des unglaublichen Geschehens, zum Beispiel, wenn Marie als überlebensgroßes Abbild wie auf einer Leinwand erscheint und Paul ins Gewissen redet oder die Prozession, die die Zuschauer nur von den Fenstern aus, aber hautnah, miterleben. Zwei Nummern „Glück, das mir verblieb“ und „Mein Sehnen, mein Wähnen“ sind wahre „Opern-Schlager“. Kein Wunder, dass diese traumhaft-fantastische Oper bei ihrer Uraufführung am 4. Dezember 1920 zeitgleich in Hamburg und Köln ein Sensationserfolg wurde. Damals gehörte Erich Wolfgang Korngold neben Richard Strauß in Deutschland zu den am meisten gespielten Opernkomponisten. Doch als sich der musikalische Trend zur Neuen Sachlichkeit Bahn brach, gingen die Aufführungen zurück. Endgültig kalt gestellt wurde der jüdische Komponist Korngold, als die Nazis seine Musik komplett verboten. Dafür feierte der in die USA emigrierte Künstler in der Filmindustrie von Hollywood umso größere Erfolge. Insgesamt verfasste Korngold  von 1935 bis 1946 Musik für 19 Filme und wurde zweimal mit dem „Oscar“ ausgezeichnet. Nach dem 2. Weltkrieg galt sein spätromantisches  Klangbild als antiquiert. Erst in den 1970er und 80er Jahren erlebte es international eine Renaissance. „Die tote Stadt“ hat wieder ihren festen Platz in den Spielplänen der Opernhäuser. Nach fast 100 Jahren wurde sie nun auch an die Semperoper zurückgeholt. Unter der musikalischen Leitung von Dmitri Jurowski und der Regie von David Bösch sah das Premierenpublikum eine glanzvolle Aufführung. Dafür sorgten vor allem die Solisten in den Hauptrollen: Burkhardt Fritz als Paul, Manuela Uhl als Marietta. Doch auch die Nebenrollen waren mit Christoph Pohl als Frank/Fritz und Christa Mayer als Brigitta stimmlich sehr gut besetzt. Sie sangen ihre schwierigen Partien sehr emotional und eindringlich. Der Staatsopernchor und der Kinderchor der Staatsoper vertieften das Psychodrama effektvoll. Die expressive Musik Korngolds wurde von der Sächsischen Staatskapelle unter der musikalischen Leitung von Dmitri Jurowski hervorragend interpretiert. Man hätte sich am Schluss einen Moment der Stille gewünscht, doch der Beifallssturm und die Bravorufe des Publikums brachen sofort los. Sie schlossen auch das Regieteam verdientermaßen mit ein. Opernfreunde sollten diese glanzvolle Aufführung auf keinen Fall verpassen. (gs) Nächste Vorstellungen: Sonntag, 21. Januar, 18 Uhr und Freitag, 2. Februar, 19 Uhr


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