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Vom Haus der Bauarbeiter zur Kammerbühne des Theaters

- Vor 50 Jahren -
Das Haus der Bauarbeiter im Charme der Siebzigerjahre. Foto: Walter Drangosch, Stadtmuseum

Das Haus der Bauarbeiter im Charme der Siebzigerjahre. Foto: Walter Drangosch, Stadtmuseum

 In einer Stadt mit be­wegter Geschichte sind Nutzungs­änderungen öffentlicher Gebäude nicht selten. In Cottbus wurde aus dem Landratsamt die Bezirks­leitung der SED, dann das Arbeitsamt und schließlich ein Bürohaus. Ins Gemein­dehaus in der Bahnhofstra­ße zogen erst ein Lazarett, dann die jungen Techniker und nun die Stadtverord­neten ein. Ähnlich bewegt ist auch das Schicksal eines Baukomplexes in der Wernerstraße, der heutigen Kammerbühne. Die Vor­geschichte des früheren Hauses der Bauarbeiter, so der ursprüngliche Na­me, ist schwer nachvoll­ziehbar. Der Bau wurde nicht angekündigt. Heute übliche Erste Spatenstiche, Grundsteinlegungen oder Richtfeste, alles Lieblings­beschäftigungen für Kom­munal- und Landespoliti­ker, fanden nicht statt. Das Haus war 1967, vor 50 Jah­ren, einfach da. In der Pres­se taucht der Neubau erst­malig im März auf, als über die Bezirksdelegiertenkon­ferenz der SED berichtet wurde, die im „neuerbau­ten Haus der Bauarbeiter“ stattfand. Zwei Tage später gab es genauere Informa­tionen durch die Lausitzer Rundschau: „Unser Stadt­zentrum hat seit einigen Tagen einen neuen An­ziehungspunkt – das Haus der Bauarbeiter. In knapp einjähriger Bauzeit wurde dieses moderne Objekt er­richtet. In der großen Halle des Hauses finden zwischen 800 und 850 Personen Platz. Eine technisch hochqua­lifizierte Einrichtung - so verfügt das Haus über eine Hebebühne – ermöglicht es, die verschiedenartigsten Veranstaltungen durchzu­führen.“ Das Haus wurde vermutlich als sogenannte „Zusatzproduktion“ durch die Cottbuser Baukombi­nate errichtet und besaß durchaus Ähnlichkeit mit einem Industriebau. Es hatte seine Entstehung auch dem Abriss der Stadt­säle in der Roßstraße zu verdanken. Dort gab es ca. 800 Sitzplätze. Die sollten wohl ersetzt werden. Der scheinbar überdimensio­nierte Küchentrakt hat­te seine Ursache darin, dass mit dem neuen Haus gleichzeitig ein Versor­gungsstützpunkt für Groß­veranstaltungen geplant war. Beim Pioniertreffen 1970 war es dann auch ei­nes der zentralen Objek­te. Allmählich gewöhnten sich die Cottbuserinnen und Cottbuser an das neue Haus. Der Bezirkstag, die Stadtverordneten und die Parteisekretäre trafen sich hier. Herbert Roth und Frank Schöbel traten auf. Günter Künzel legte Schall­platten auf. Die Boxwett­kämpfe aus den Stadtsälen zogen hierher um und die Jugendweihlinge sprachen hier ihr Gelöbnis. Im Jahr 1971 gab es im HdB, so die Kurzbezeichnung, ein internationales Tischtenni­sturnier und 1974 die Be­zirkskunstausstellung. Die Zeit als multifunktionaler Veranstaltungsort endete nach gut zwölf Jahren.  Ende der Siebzigerjah­re hatte sich der bauliche Zustand des Theaters am Schillerplatz soweit ver­schlechtert, dass die Haup­tinstandsetzung nicht mehr aufzuschieben war. Als In­terimsspielstätte kam nach Lage der Dinge nur das Haus der Bauarbeiter in Frage. Ab 1980 begann der Umbau. Notwendig waren die Neugestaltung der Büh­ne sowie der Einbau von Orchestergraben, Künstler­garderoben und Sanitärräu­men. Nach knapp zwei Jah­ren hieß es in der Tageszei­tung: „Verdis Oper ‚Aida‘ im Haus der Bauarbeiter – Werner Walde Gast der Premiere – Zeitweilige Spielstätte eröffnet“. Die Cottbuser Theaterfreunde erinnern sich gern an die folgende Zeit. Im Haus der Bauarbeiter und in der al­ten Kammerbühne in der Wilhelm-Külz-Straße weh­te in diesen Jahren die Luft der Peristroika. „Franziska Linkerhand“, „Die Preu­ßen kommen“ und „Die Neuen Leiden des jungen W.“ widerspiegelten, im Gegensatz zur Ta­gespresse, die Ge­fühlswelt der Men­schen in der DDR. Nach der Wieder­eröffnung des re­konstruierten Gro­ßen Hauses stand die Frage der weiteren Verwendung des Hauses der Bauarbei­ter. Sollte das Gebäude als Kinder- und Jugendtheater die dritte Spielstätte des Stadttheaters oder doch zum Kulturhaus zurückge­baut werden? Letztlich be­gann ab 1987 ein erneuter Umbau. Das HdB wurde Bestandteil des Cottbuser Veranstaltungszentrums. Matthias Zickora, damals Chef der Einrichtung, er­innert sich: „Geplant war ein Zentrum, in dem kultu­relle Aktivitäten nach dem Vorbild der Industriekom­binate gebündelt werden konnten. Dazu gehörten neben dem HdB das Stadt­kabinett für Kulturarbeit, die Jugendklubs, das Klub­haus der Jugend, die Frei­lichtbühne im Blechenpark und die Märkte, die von hier aus koordiniert werden sollten.“ Nach der politischen Wen­de suchte die Kulturverwal­tung nach neuen Nutzungs­ideen. Gedacht war an eine Heimstatt der Vereine. Das Ensemble Freundschaft tanzte hier. Den ersten Neujahrsempfang der Stadt Cottbus 1991 eröffnete OB Kleinschmidt in der Wer­nerstraße. Als jedoch En­de der Neunziger die alte Kammerbühne an die Loge zurückübertragen wurde, entschied sich die Stadt, das Haus wieder als Spiel­stätte für das Staatstheater zu nutzen. Mit Goethes „Clavigo“ wurde das Haus der Bauarbeiter 1999 end­gültig zur Kammerbühne des Theaters. Und am 23. September diesen Jahres, einen Tag vor der Bundes­tagswahl, kann sich der ge­neigte Theaterbesucher bei der Premiere von Schillers „Wilhelm Tell“ möglicher­weise Anregungen für seine Wahlentscheidung holen.


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