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Erster Ozeanflug mit Passagier – Klinge und Cottbus berühmt

- Vor 90 Jahren -
Dort geht es nun wirklich nach Berlin? Clarence Chamberlin beim Start auf dem Cottbuser Flugplatz. Foto: Stadtmuseum Cottbus

Dort geht es nun wirklich nach Berlin? Clarence Chamberlin beim Start auf dem Cottbuser Flugplatz. Foto: Stadtmuseum Cottbus

Bei den ThemenLuftfahrt und Flugzeuge haben die Cottbuser gemischte Gefühle. Die spektakulären Abstürze von Militärmaschinen im Stadtgebiet von 1975 und 1985 sind nicht vergessen. Auch der folgenschwerste Luftfahrtunfall auf deutschem Staatsgebiet, der Absturz der IL 62 bei Königs Wusterhausen 1972, hatte mit Cottbus zu tun. Ein großer Teil der Passagiere stammte aus der Bezirksstadt. Noch düsterer wird die Geschichte bei der Betrachtung des seit 1939 auf dem Cottbuser Flugplatz stationierten Sturzkampfgeschwader 3. Diese Luftwaffeneinheit der Nazi-Wehrmacht führte den ersten Einsatz des II. Weltkrieges aus. Am 1. September 1939 legten Stukas Ju 87 noch vor den Schüssen auf der Westerplatte die polnische Stadt Wiehun in Schutt und Asche. Nur zwei Wochen zuvor hatte das Geschwader bei einer Katastrophe auf dem Truppenübungsplatz Neuhammer 13 Maschinen und 26 Soldaten verloren. Und dennoch gibt es in der Cottbuser Geschichte Glanzpunkte, die mit der Luftfahrt zu tun haben. Der wohl schillerndste ist der Zwischenstopp der Ozeanflieger Chamberlin und Levine am 5. und 6. Juni 1927, vor 90 Jahren, in Klinge und Cottbus. Dem Ereignis vorausgegangen ist die grenzenlose Begeisterung für die Fliegerei und den Luftsport in den Goldenen Zwanzigern. Davon besonders angesteckt war Clarence Chamberlin (1893 -1976) aus dem US-Staat Connecticut. Er stellte im Mai 1927 einen Weltrekord im Dauerfliegen auf. Dadurch wurde der Industrielle Charles Levine von der Columbia Aircraft Company auf ihn aufmerksam. Er stellte dem Piloten seine Bellanca W.B.2, ein Transportflugzeug des Konstrukteurs Guiseppe Bellanca von 14 m Länge, einer Höchstgeschwindigkeit von 180 km/h und der erstaunlichen Reichweite von 8000 km zur Verfügung. Für den ersten Non-Stop-Flug New York - Paris waren im Frühjahr 1927 25.000 Dollar Preisgeld ausgeschrieben. Aber diesen Preis holte sich bekanntlich Charles Lindbergh. Also wurde ein anderes Ziel ins Auge gefasst. Die neue Strecke hieß New York - Berlin. Am 4. Juni startete die Maschine in Long Island. Kurzentschlossen stieg Minuten vor dem Start Charles Levine, noch im Nadelstreifenanzug, mit in das zweisitzige Flugzeug. So kam es zur ersten Atlantiküberquerung mit Passagier. Der Cottbuser Anzeiger, immer auf dem Laufenden, berichtete seinen Lesern darüber am 5. Juni, ohne zu wissen, was hier am nächsten Tag geschehen sollte: „Nach dem erfolgreichen Flug Lindberghs von Neuyork nach Paris will jetzt das Flugzeug ‚Columbia‘ mit dem amerikanischen Piloten Chamberlin zum Ozeanflug Neuyork - Berlin starten … Levine, der Generaldirektor der Gesellschaft, die die ‚Columbia‘ gebaut hat, begleitet Chamberlin auf seinem Flug nach Europa.” Und:„Wie mitgeteilt wird, werden auf dem Flugplatze Tempelhof die Sicherheitsmaßnahmen in besonderem Maße verstärkt werden.” Schon von Amsterdam an wollte man den mutigen Pionieren mit anderen Flugzeugen Geleit geben. Es kam bekanntlich anders! Schlechtes Kartenmaterial und eine ungünstige Witterung führten dazu, dass die Männer, die sich an den Bahnlinien orientieren wollten, vom Kurs abkamen. Treibstoffmangel zwang sie in der Nähe von Eisleben zur Notlandung. Auch beim Weiterflug gab es dann Probleme. Die erneute Notlandung in Klinge bei Cottbus ging nicht ohne Propellerbruch ab. Und jetzt endlich kam Cottbus zum Zuge. Dessen OB erkannte die einmalige Chance für die Stadtwerbung! Chamberlin erzählte später amüsiert über „... den Oberbürgermeister von Cottbus, Herrn Kreutz, der den Bürgermeister von Klinge im Begrüßungskomitee geschickt aus dem Bild bugsierte, um den alleinigen Ruhm zu ernten.” In der Stadt gab es im Mai ohnehin eine großartige Luftfahrtstimmung. Der Verkehrslandeplatz Cottbus wurde eröffnet und mit ihm die Riesengebirgslinie        Berlin - Hirschberg mit Cottbus erweitert. Und nun die Ozeanflieger! Oberbürgermeister Dr. Erich Kreutz wusste, was er zu tun hatte: Presse mobilisieren, Flieger und Flugzeug nach Cottbus holen, Ehrungen und Feiern organisieren, Telegramme in die Welt schicken. Pfingstmontag 1927 waren die Stadt Cottbus und ihr Flugplatz Thema in der Weltpresse. Depeschen wurden mit US-Präsident Calvin Coolidge und dem New Yorker Bürgermeister Jimmy Walker ausgetauscht. Die beiden Flieger, inzwischen von Klinge nach Cottbus geholt, erlebten den Empfang im Hotel Ansorge, die Festsitzung der Stadtverordneten, eine Konfetti-Parade auf dem Altmarkt, die Verleihung der Ehrenbürgerschaft und die Eintragung ins Goldene Buch. OB Kreutz jubelte: „Durch Ihre Tat haben Sie neue Bande der Freundschaft zwischen Amerika und Deutschland geknüpft. Mit Stolz blickt Amerikas größte Stadt Neuyork als der Ausgangspunkt Ihrer Reise auf Sie. Und mit ebensolchem Stolz wissen wir hier in Cottbus Ihre Gegenwart zu schätzen.” Am nächsten Tag ging es nach Berlin. Aber der Rummel dort, die Empfänge bei Reichskanzler und Reichspräsident spielten für die Cottbuser keine große Rolle mehr. Dass Chamberlin Cottbus nicht vergessen hatte, bewies er ein Jahr später. Mit seiner Frau kehrte er als Besucher in die Niederlausitz zurück. Cottbus war damals nicht das Ziel der Ozeanflieger. Es war auch nicht der erste Ort in Deutschland, wo Chamberlin und Levine landeten. Aber es war die Stadt, die diese Gelegenheit beherzt für die Werbung nutzte. Erst sieben Jahrzehnte später konnten sich die Cottbuser mit der Bundesgartenschau und dann mit dem Höhenflug von Eduard Geyer und seiner Truppe ähnliche Medienpräsenz sichern.


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