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»Das grüne Herz der Lausitz« - Wo steht Pückler?

- Vor 100 Jahren -
Cottbus 1957 - Auf dem Weg zum Branitzer Park und zum Pressefest auf der Pontonbrücke über die Spree. Foto: Erich Schutt

Cottbus 1957 - Auf dem Weg zum Branitzer Park und zum Pressefest auf der Pontonbrücke über die Spree. Foto: Erich Schutt

 Im Jahr 1957 wurden im ehemaligen Bezirk Cottbus zwei Stücke aufgeführt, die beide von Hermann von Pück­ler-Muskau handelten. Das erste war ein Singspiel mit dem Titel „Das grüne Herz der Lausitz« und stammte von einem Muskauer Autorenkollek­tiv. Das zweite Stück hieß „Wo steht Pückler? Wo stehst Du?“. Aufgeführt wurde es in Redaktionsstuben, Par­teiversammlungen, Leserbriefen und Stellungnahmen. Offen blieb, ob es eine Tragödie oder eher eine Posse war. Eine Provinzposse war es jedenfalls nicht, denn auch die Kulturredaktion des Neuen Deutschland (Organ des Zentral­komitees) griff in die Handlung ein. Der Fürst war in beiden Stücken allgegen­wärtig. Im Singspiel gibt es den Mus­kauer Bürgermeister, Einwohner, Bade­gäste und jede Menge jubelnde Kinder. In der folgenden, sagen wir Tragikomö­die, spielt neben Pückler der Cottbuser Stadtarchivar W., der „Genossen K.“ vom Rat des Bezirkes und der „Genos­sen S.“ als Chef des Autorenkollektivs eine Rolle. Die Handlung beginnt damit, dass die Verfasser des „Grünen Her­zens“ ihr Manuskript pflicht­gemäß zur Überprüfung bei der Kulturabteilung des Rates des Bezirkes einreich­ten. Das Stück bekommt erste Dramatik, weil der „Genosse K.“ behauptete, das Stück gelesen zu haben und es so schlecht zu finden, dass sich jede Antwort erübrige. Seine Gegner allerdings warfen ihm vor, es gar nicht gelesen zu haben. Wie auch immer, in Bad Muskau deutet man das Schweigen vom Cott­buser Neumarkt positiv, studiert das „Grüne Herz“ ein und führt es im Park auf. Jetzt kommt der positive Held ins Spiel. Wenn dem parteilosen Archivar, dem „bürgerlichen Wissenschaftler W.“, der wohl eine Aufführung erlebte, nun der „Kragen platzt“ und „er nach all der Fürstenverherrlichung endlich einmal darlegt, dass Pückler ein Bau­ernschinder war, ist und bleibt, so hat er tausendmal recht.“ Das ND eröffnet den zweiten Akt mit der scheinbar sprach­losen Feststellung: „Sechsmal ging „Das grüne Herz der Lausitz« im Muskauer Park über die Bretter. Tausende von Zuschauern mussten eine Fürstenver­herrlichung über sich ergehen lassen, die sich fortschrittliche Bürger schon zu Lebzeiten Pücklers verbeten hätten.“ Die Genossen vom Zentralorgan führ­ten sodann ein literarisches Schwer­gewicht in die Handlung ein, Georg Herwegh, den Dichter des Vormärz. Der hatte „an den Verstorbenen« die Frage gerichtet: „Doch wiegtest unter Palmen Du Dein Prophetenhaupt, wenn nicht aus unsern Halmen Du erst Dein Gold geraubt? “Da konnte die Cottbuser Kulturre­daktion nicht abseitsstehen und setzte zum Knock-Out an: „Brauchen wir das ‚objektive Lebensbild‘ eines feudalen Fürsten, dessen Gebeine glücklicher­weise seit langem in der Gruft modern? Ist es unbedingt nötig – jetzt, in dieser Epoche des Aufbaus des Sozi­alismus – seine ‚Ver­dienste‘ zu würdigen, die ‚Licht- und Schat­tenseiten‘ einer Person abzuwägen, von der wir etwas grundsätzlich wissen – nämlich, dass sie auf der anderen Sei­te der Barrikade gestan­den hat.“ Den dritten Akt, vor der Abstrafung, bildeten dann die Leserbriefe von „Arbeiter­veteranen“, „Arbeiterkindern“ und „Werktätigen“. Die stellten dann auch fest, dass nicht dieser „Leuteschinder“, sondern dessen Bauern die Parkschöp­fer waren, und zwar „im Schweiße ihres Angesichts.“ Fast gendergerecht beklag­ten die „Landarbeiter und Landarbei­terinnen“, dass Pückler, der „miserable Reiseschriftsteller“, das Geld für seine Parkanlagen „aus den Knochen seiner Untergebenen herausgepresst“ hatte. Ob Zensor und Autor ungeschoren davonkamen, ist nicht bekannt. Jeden­falls wurde ihnen dringend geraten, sich mit den „Lehren des Marxismus-Leninismus zur Rolle der Volksmassen zu beschäftigen“. Heute weiß man weit über Branitz und Bad Muskau hinaus, dass Pückler eine Persönlichkeit von europäischem For­mat war. Und doch kam es fast zu einer Wiederholung eines solchen doppelten Spektakels, allerdings mit umgekehrten Vorzeichen. Als 2010 zum Pücklerjubi­läum im Cottbuser Staatstheater Johann Kresniks „Fürst Pücklers Utopia“ aufge­führt wurde, sprach man in der großen Welt von der Cottbuser Theaterkunst und vom Pücklerschen Erbe. Aber es gab wohl für einige städtische Honora­tioren zu viel „Nacktheit, Blut und Sper­ma“. „Peinliche Sex-Revue oder große Kunst?“, fragte die hiesige Tageszeitung. Und es gab Stimmen, die wollten die Theaterverantwortlichen gar vor den Kulturausschuss des Stadtparlaments zitieren, um sie wegen des „Skandals“, wegen der „Verunglimpfung“ des Fürs­ten, zu kritisieren. Zu Kritik und Selbst­kritik kam es nicht. Denn: Wer zu einer Kresnik-Inszenierung zu Pückler geht, muss mit drastischen Bildern rechnen. Wer so wenig vom Theater (und von Pückler) versteht, dass er das nicht weiß, muss dann eben etwas stiller sein. Sonst sind wir wieder bei der Frage: Wo steht Pückler? Wo stehst Du?


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