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Das Ende der Cottbuser Stadtsäle

- Vor 50 Jahren -
Modenschau in den Cottbuser Stadtsälen 1953.

Modenschau in den Cottbuser Stadtsälen 1953.

  Wenn von den Stadtsälen die Rede ist, werden bei älte­ren Cottbusern Erinnerungen wach. Dieses vielseitige Lokal lag in der Luckauer Vorstadt, dort, wo die inzwischen ebenfalls abgerissenen Pavillons gegenüber der Wohnscheibe Stadtpromenade stan­den. Das Siedlungsviertel entstand im 19. Jahrhundert und umfasste das Gebiet vom Spremberger Wall bis zur Bahnhofstraße und von der Berliner Straße bis zur Kaiser-Friedrich-Straße (heute Karl-Liebknecht-Straße). Dort standen neben kleineren Vorstadthäu­sern ab der Jahrhundertwende auch repräsentative Mietshäuser. Die Cottbuser Stadtsäle hatten die Adresse Roßstraße 35. Im Herbst 1967, vor 50 Jahren, schloss das »Eta­blissement«, zu dem ein Restaurant, Festsäle, eine Tanzdiele und zeitweise ein »Paradiesgarten« mit lebenden Tieren gehörten. Ein Jahr später wurde der Gebäudekomplex abgerissen. Er musste dem Neubau des Stadtzent­rums weichen.  Konzerthaus Kolkwitz Ein Gasthof wird an dem Standort seit 1830 erwähnt. Hermann Kolkwitz und spä­ter seine Witwe betrieben und erweiterten die Gaststätte zwischen 1891 und 1920. Später gibt es hier das Café Altmann, dann den Kristallpalast und schließ­lich, nach 1945, die Stadtsäle, zunächst privat von Curt Schreiber betrieben und dann von der sozialistischen Handelsorganisation HO „übernom­men“. Sehr unterschiedlich sind die Angaben zum Fassungsvermögen des Konzerthauses. Der Cottbuser Anzeiger nannte 1912 für eine SPD-Wahlkampfveranstaltung mit Karl Liebknecht »3000 - 4000 Personen, die dicht gedrängt und Kopf an Kopf standen«. Otto Grotewohl, erster Mi­nisterpräsident der DDR, soll 1949 gar vor »10.000 Werktätigen« gesprochen haben. Diese Angaben sind möglicher­weise übertrieben. Aber immerhin gab es im großen Saal des Konzerthauses 800 Sitzplätze und auf der Empore noch einmal 400 Stehplätze. Damit war es mit Abstand die größte Ver­gnügungs- und Versammlungsstätte in der Niederlausitz. Hier redeten auch August Bebel, Ernst Thälmann, Rudolf Breitscheid, Wilhelm Pieck, Erich Honecker und Walter Ulbricht. Ende des 19. Jahrhunderts waren Konzerte der Cottbuser Stadtkapelle im »Kolkwitzer Garten« beliebt. Für eine große Ausstellung für Gewerbe und Nahrungsmittel übernahm 1894 Prinz Friedrich von Hohenzollern die Schirmherrschaft. Ein Jahr später fand im »Kolkwitzschen Hause« eine Bür­gerversammlung statt. Der Magistrat informierte über den bevorstehenden Bau der Kanalisation und der Wasser­leitungen. Ab 1919 kamen Tausende zu den »Spezialitätenprogrammen im freien Stil«. Das waren von Berufsringern ausgetragene Schaukämpfe, ähnlich dem heutigen Wrestling. Später, unter der Ägide von Hermann Altmann trat Ludwig Manfred Lom­mel hier auf, der Eber­hard Cohrs dieser Zeit. Heisenberg in den Stadtsälen Nach 1945 erlebten die Stadtsäle, wie der Komplex nun genannt wurde, noch einmal ei­ne große Zeit. An Tanzveranstaltungen bestand nach dem Krieg großer Bedarf. Die Tanzlehrer Fritsche unterrichteten bis zu 100 Paare gleichzeitig. Beson­ders gefragt waren im eher grauen Cottbuser Alltag die Modenschauen. In den Fünfzigern hieß der Matador jedoch Hans Robak. 5000 begeisterte Fans sollen zu den Boxkämpfen des »Eisernen Hans«, der fünfmal DDR-Meister wurde, gekommen sein. Eine kleine Sensation im tiefsten Kalten Krieg war der Vortrag des westdeut­schen Nobelpreisträgers Werner Heisenberg 1958 über »Atomphysik und modernes Denken«, organisiert von Generalsuperintendent D. Günter Jacob. Das Ende der Luckauer Vorstadt und damit der Stadtsäle läuteten die Cott­buser Stadtverordneten im Mai 1965 ein. Nach dem Ulbricht-Besuch im Jahr zuvor waren die Würfel für das neue Stadtzentrum entlang der Stadtmauer gefallen. Der beschlossene Bebau­ungsplan sah vor, »bis 1970 im Stadt­zentrum ein großes Warenhaus, ein 19stöckiges Haus des Kraftwerkers sowie ein Hotel, eine Mehrzweckhalle … mehrere Wohnhochhäuser und Gast­stätten zu errichten.« Das alles sollte mit einem »Minimum an Abbruch­maßnahmen« erreicht werden. Zu diesem Minimum gehörten leider die komplette Jahrstraße, große Teile der Roßstraße und auch die traditionsrei­chen Stadtsäle. Über den Abriss der alten Häuser in der Luckauer Vorstadt ist viel geklagt worden. Damals folgte jedoch unmit­telbar der Aufbau der Punkthochhäu­ser, der Wohnscheibe, des Sternchens und der Buchhandlung, teilweise parallel zum Abbruch. Die im Herbst 1977 an gleicher Stelle eingeweihten Pavillons erlebten ihren 40. Geburts­tag nicht. Über Glanz und Elend dieser Bauwerke soll in der nächsten Woche berichtet werden.


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